Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Ratsmitglieder,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung,

Am 06.11.2019 wurden die Sieben Ziele des Radentscheids Aachen mit 96 Prozent Zustimmung vom Rat der Stadt Aachen verabschiedet. Damit hat sich Aachen verpflichtet, die Sieben Ziele des Radentscheids innerhalb von acht Jahren umzusetzen:

Ziel 1: 10 km Radhauptverbindungen jährlich/ 80 km in acht Jahren

Ziel 2.1: Umbau von drei großen Ampelkreuzungen jährlich/ 24 in acht Jahren
Ziel 2.2: Umbau von 15 Einmündungen jährlich/ 120 Einmündungen in acht Jahren

Ziel 3: 5 km Protected Bikelanes an Hauptstraßen jährlich/ 40 km in acht Jahren

Ziel 4: Geh- und Radwege durchgängig und einheitlich gestalten – durchgängig, niveaugleich, baulich und optisch hervorgehoben

Ziel 5: 2.500 Parkplätze in bewachten Fahrradparkhäusern an Bahnhöfen

  • 2.500 überdachte und beleuchtete Parkplätze an weiteren Bahnhöfen und Haltestellen
  • je 5000 Fahrradbügel innerhalb und außerhalb des Alleenrings

– > insgesamt 15.000 Fahrradstellplätze

Ziel 6: Schaffung eines Online-Portals zur Meldung von Mängeln am Geh- und Radwegenetz

Ziel 7: Konsequente und transparente Förderung der Verkehrswende

Diese sieben Ziele sind für weitere sechs Jahre verbindlich für das Handeln von Politik und Verwaltung in Aachen.
Der Ratsbeschluss war die Konsequenz des mit 38.185 Unterschriften erfolgreichsten Bürgerbegehens, das jemals in der Bundesrepublik zum Anstoßen der Verkehrswende durchgeführt wurde, und das als eines der erfolgreichsten Bürgerbegehren in Deutschland insgesamt gilt.

Die Sieben Zielen des Radentscheids haben der Stadt Aachen eine Vision gegeben:
Unabhängig davon, wie man in Aachen unterwegs ist, – ob zu Fuß, mit dem Rad, dem ÖPNV oder dem Auto -, ist dies geschützt und sicher möglich.

Hierzu beauftragt die Politik die Errichtung der dazu erforderlichen Infrastruktur, die von der Fachverwaltung entsprechend geplant und umgesetzt wird. Besonderen Schutz brauchen immer die Schwächeren in einer Gesellschaft; deshalb haben wir uns mit dem Radentscheid Aachen für den besonderen Schutz der Radfahrenden und zu Fuß Gehenden stark gemacht – und sind auf breite Zustimmung in der Bevölkerung, in Politik und Verwaltung gestoßen. Wir erhalten das Feedback, dass sich Autofahrende eine Radinfrastruktur wünschen, die auch für sie intuitiv erkennbar ist: getrennt, durchgängig und farblich markiert, und die konsequent die als besonders gefährlichen Kreuzungsbereiche abdeckt, und Radfahrenden an Hauptstraßen konsequent eine durchgängige, getrennte Infrastruktur zur Verfügung stellt.

Weitere Verzögerungen nicht nachvollziehbar

Der Radentscheid hatte Verständnis dafür, dass das erste Jahr der Umsetzung von vorbereitenden Maßnahmen geprägt war. Es wurde Personal eingestellt, erste Pilotprojekte wie am Pontwall wurden beschlossen und rasch umgesetzt. Auch Konzeptvergaben wurden in Angriff genommen – z.B. für das Radwegenetz oder das Fahrradparken.
Dieses Verständnis war im November 2020 mit der Erwartung verknüpft, dass die konkrete Umsetzung der Sieben Ziele des Radentscheids zu den festgelegten Qualitätsstandards im zweiten Jahr „mit Volldampf“ geschieht, und Politik und Verwaltung dies glaubwürdig vermitteln. Weitere Verzögerungen sind nicht nachvollziehbar und inakzeptabel.
Nach nun zwei Jahren der Umsetzung begrüßen wir den 2021 abgeschlossenen Umbau und die Gestaltung der Lothringer Straße, sowie weitere Fortschritte, die an der Radvorrangroute von Brand in die Innenstadt erreicht wurden. Die kürzlich beschlossene Planung für den Bereich der Lintertstraße ist dagegen mutlos und inkonsequent.
Wir erwarten, dass in Zukunft in komplexen Planungssituationen, in denen beispielsweise der tatsächliche Parkdruck unklar ist, für einen Zeitraum von sechs Monaten ein provisorischer Radweg eingerichtet wird, um Klarheit über die Gegebenheiten zu erhalten. Die jetzt beschlossene Radinfrastruktur für den Bereich der Lintertstraße und die zur Zeit in der Schwebe befindliche Lösung für die Vaalser Straße sind äußerst unbefriedigend und weisen gleichzeitig auf die einigen Entscheidern mangelnde Bereitschaft hin, der Sicherheit von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden konsequent Priorität einzuräumen.
Nach wie vor sind wir beeindruckt von der Veranstaltung im Februar 2021, mit der die Verwaltung der jährlichen Rechenschaftspflicht (Ziel 7 des Radentscheids) nachgekommen ist. Die vorgestellte Projektion der Umsetzung der Sieben Ziele und das Geltend machen geplanter Umsetzungen entspricht jedoch nicht den Qualitätsstandards des Radentscheids.

Qualitätsstandards nicht immer eingehalten

Neben Hoffnung machenden Planungen (Kreuzung an der Bastei, Monheimsallee, Breslauer Straße, Ludwigsallee) entsprechen andere vorgelegte Beschlussvorschläge oder erfolgte politische Beschlüsse nicht den Qualitätsstandards des Radentscheids (Lintertstraße, Beschlussvorlage für die Vaalser Straße). An der Vaalser Straße gibt es inzwischen sogar Bereiche, die keinerlei Infrastruktur für Radfahrende aufweisen.
Für die Umsetzung des Radverteilerrings auf dem Grabenring, dem Herzstück des zukünftigen Radvorrangroutennetzes, zeichnet sich noch kein Zeitplan ab. Hier wünschen wir uns in einem ersten Schritt, dass der Durchgangsverkehr kurzfristig mit pragmatischen und schnell umsetzbaren Maßnahmen herausgenommen wird.
Noch immer liegen keine Planungen für das Radverkehrsnetz vor. Die fehlende Konzeption dieses Radverkehrsnetzes führt auch dazu, dass ein Gesamtkonzept nicht erkennbar werden kann. Es bleibt offen, ob und wenn ja wie bereits durchgeführte Maßnahmen das Potenzial entfalten können, ein zusammenhängendes, durchgehendes und die gesamte Stadt erschließendes Netz mit den Qualitätsstandards des Radentscheids zu schaffen. Dadurch ist es für alle Beteiligten schwierig, einzelne Straßenumbauten einzuordnen.

Ernüchterung und Unverständnis

Das Resümee für das zweite Jahr der Umsetzung ist daher auch von Ernüchterung, Unzufriedenheit und Zweifeln am Willen zur Umsetzung gekennzeichnet. Wir heben hervor, dass uns als Radentscheid Feedback erreicht, das von Verdrossenheit, Unverständnis und sogar Wut spricht. Diese Reaktionen beziehen sich nicht nur auf die ausbleibende Umsetzung. Das Unverständnis basiert auch auf wahrgenommenen Differenzen zwischen dem mit 96-prozentiger Zustimmung erfolgten Ratsbeschluss, und den Beteuerungen aller großer Parteien und der Oberbürgermeisterin im Kommunalwahlkampf 2020 zur Umsetzung des Radentscheids. Bemängelt wird zudem das fehlende öffentliche Bekenntnis zur Umsetzung.
Die unbestrittenen zusätzlichen Effekte der Umsetzung des Radentscheids – erkennbar an seinen Auswirkungen auf das Klima – führten 2020 dazu, dass sein Maßnahmenbündel eine tragende Säule des Integrierten Klimaschutzkonzeptes (IKSK) der Stadt im Bereich der Mobilitätsentwicklung Aachen geworden ist.
Überregional machte 2019 der Vergleich der Stadt Aachen mit der Deutschen Umwelthilfe vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster Schlagzeilen. Der Gerichtsvergleich beinhaltet, dass ein Dieselfahrverbot abgewendet werden konnte, auf Basis der Annahme des Gerichts, dass die Ziele des Radentscheids umgesetzt werden.

Neustart erforderlich

Wir fordern alle Entscheider auf – die Oberbürgermeisterin, die Verwaltung, und die Politik – im bereits begonnenen dritten Jahr der Umsetzung einen Neustart vorzunehmen, um die selbstgesteckten Ziele erreichen zu können. Was in dieser Ratsperiode beschlossen wird, wird auf Jahrzehnte Bestand haben. Treffen Sie mutige Entscheidungen, die sich an den Zielen des Radentscheids, und den Anforderungen des Klimanotstands und dem vor Gericht erstrittenen Vergleich mit der Deutschen Umwelthilfe orientieren.
Ein Viertel der Umsetzungszeit des Radentscheids ist bereits vergangen. Für das dritte Jahr der Umsetzung fordern wir:

  1. Bau von 10 km geschützter Radwege an Hauptverkehrsstraßen, weitere 10 km planen.
  2. Umbau von zwei großen Kreuzungen, Planung von 6 weiteren Kreuzungen
  3. Planung eines Routennetzes
  4. Radverteilerring: Planung abschließen, erste provisorische Umsetzung im gleichen Jahr, beispielsweise die kurzfristige Herausnahme des Durchgangsverkehrs als schnell umsetzbare Maßnahme.
  5. Nach Abschluss der Baumaßnahmen an der Ludwigsallee die Einrichtung einer Protected Bikelane auf der Saarstraße.
  6. Im Zuge der Planung des Neubaus der Brücke Turmstraße den radentscheidkonformen Ausbau der Turmstraße zwischen Audimax und Königstraße.

Treffen Sie mutige Entscheidungen, und priorisieren Sie Ziele des Radentscheids für eine klimafreundliche Stadt.
Tragen Sie dazu bei, aus Aachen eine bundesweit beachtete Modellstadt der Verkehrswende zu machen, eine Stadt, die ambitioniert Klimaneutralität und eine gute Luftqualität anstrebt.
Den Grundstein dafür haben 38.185 Unterschriften für den Radentscheid gelegt.

Mit freundlichen Grüßen,
Das Team Radentscheid Aachen
Aachen, 10.11.2021

 

Titelfoto: Ulrich Bierwisch